S-Bahn beschäftigt erneut das Parlament

Bei der 20. Plenarsitzung am vergangenen Donnerstag habe ich meine 2. Rede gehalten. Thema: „Genügend S-Bahnzüge ab 2017/2018: Übernimmt der Senat die Verantwortung?“. Gleich zu Beginn der Rede sorgte ich mit einem Versprecher für Heiterkeit unter den Kolleginnen und Kollegen im Parlament. Statt von Weichen sprach ich von Leichen und sagte: „SPD und CDU übernehmen dagegen Verantwortung und stellen umfassend die Leichen“.
Hier meine 10-minütige Rede aus dem amtlichen Protokoll:
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Gelbhaar! Sie haben jetzt 15 Minuten zur S-Bahn geredet. Nachdem ich das verfolgt habe, bin ich froh, dass die Grünen nicht die Verantwortung für die S-Bahn haben.
[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]
Diese Große Anfrage ist mal wieder eine ganz große Sternstunde der grünen Opposition.
[Zuruf von Wolfgang Brauer (LINKE)]
Zu allen drei Fragen ihrer wirklich sehr großen Anfrage – Warum kein landeseigener Fuhrpark? Gelingt das Vergabeverfahren? Was ist mit dem Fuhrpark in der Übergangsphase? – haben Sie schon mehrfach und zahlreich Mündliche und Kleine Anfragen gestellt, die Herr Senator Müller und Herr Staatssekretär Gaebler umfassend beantwortet haben. Wenn Ihnen zu einer Großen Anfrage zum Thema Berliner S-Bahn nicht mehr als drei Fragen einfallen, die dann auch noch aufgewärmt sind, dann ist Ihnen als Opposition wirklich nicht zu helfen.
[Beifall bei der SPD – Zuruf von Uwe Doering (LINKE)]
Offenbar haben Sie zur Zukunft der S-Bahn nichts beizutragen. Ihre einzige wirklich ernste Forderung in dieser Legislaturperiode war: Wir brauchen einen landeseigenen Fuhrpark. – Das ist ein bisschen wenig zum Thema S-Bahn. Das ist Schaufensterpolitik pur.
[Benedikt Lux (GRÜNE): So, jetzt Sie! – Zuruf von Christopher Lauer (PIRATEN)]
Ja, vielen Dank, Herr Lux! Genau! Als ob Sie mitgelesen hätten! SPD und CDU übernehmen dagegen Verantwortung und stellen umfassend die Leichen –
[Allgemeine Heiterkeit – Beifall von Ülker Radziwill (SPD) – Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]
die Weichen für die Zukunft der Berliner S-Bahn.
[Zurufe von den GRÜNEN]
Die Koalition ist sich ihrer Verantwortung für die 3 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und für die Kunden bewusst.
[Zurufe von den GRÜNEN]
Vizepräsident Andreas Gram:
Entschuldigung, meine Herrschaften! Ein Lapsus kann jedem passieren. – Aber ich frage Sie, lieber Kollege: Lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gelbhaar zu, ja oder nein?
Sven Heinemann (SPD):
Wenigstens sind jetzt alle wieder wach.
[Beifall bei der SPD, der CDU und den GRÜNEN]
Vizepräsident Andreas Gram:
Ja, das haben wir von hier oben mit großer Freude beobachtet.
Sven Heinemann (SPD):
Eigentlich sollte er sich ja mehr Fragen für eine Große Anfrage überlegen, aber ich lasse es mal zu.
[Zurufe von Heiko Melzer (CDU) und Wolfgang Brauer (LINKE)]
Vizepräsident Andreas Gram:
Bitte, Herr Kollege!
Stefan Gelbhaar (GRÜNE):
Vielleicht gehen Sie mal zu Ihrem Geschäftsführer und lassen sich eine Große Anfrage erklären. Sie zeichnet sich nicht durch viele Fragen aus.
Sven Heinemann (SPD):
Ja, aber Sie haben die Fragen schon mehrfach gestellt. Dadurch, dass sie es immer wieder aufwärmen, wird es nicht besser! Ein bisschen arbeiten müssen Sie auch!
[Beifall von Heiko Melzer (CDU)]
Stefan Gelbhaar (GRÜNE):
Aber ich will Sie fragen, ob Sie uns vielleicht den Unterschied zwischen der Forderung im SPD-Wahlprogramm und den Entscheidungen, die der Senat getroffen hat, kurz erläutern können.
Sven Heinemann (SPD):
Ich komme später dazu. Da kann ich das dann mitbeantworten.
[Vereinzelter Beifall bei der SPD]
Ich kann Ihnen schon mal sagen, dass sich darüber alle sehr viele Gedanken gemacht haben. Aber Sie wissen selbst, dass nicht alles, was vielleicht wünschenswert ist, rechtlich auch im Hinblick auf EU-Recht möglich ist. Deswegen sind die Entscheidungen so gefallen. Nun will ich aber fortfahren.
[Zuruf von Stefan Gelbhaar (GRÜNE)]
Wir übernehmen die Verantwortung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und für die Kundinnen und Kunden der Berliner S-Bahn.
[Uwe Doering (LINKE): Ah! Danke schön!]
Sie ist ein unverzichtbarer Bestandteil des öffentlichen Nahverkehrs in Berlin. Sie befördert täglich über eine Million Fahrgäste und sorgt für die Mobilität vieler Berlinerinnen und Berliner. Wir alle hier im Saal wissen aber auch: Die S-Bahn hat nach wie vor viele Herausforderungen zu bewältigen. Glücklicherweise sind wir von den gravierenden Problemen, wie sie 2009 und 2010 durch Missmanagement bei der Deutschen Bahn zutage getreten sind, weit entfernt.
[Zuruf von Stefan Gelbhaar (GRÜNE)]
Aber obwohl sich die Situation bei der S-Bahn 2012 verbessert hat, ist diese nach wie vor nicht in der Lage, den vereinbarten Betrieb anzubieten. Es fehlt weiterhin eine Betriebsreserve, es fehlen Verstärkungszüge in den Stoßzeiten und zu Großveranstaltungen, und die Linie S 85 ist immer noch außer Betrieb. Die Pünktlichkeitsquote hat sich im Vergleich zum Vorjahr sogar wieder verschlechtert. Im September waren 93,1 Prozent aller Fahrten pünktlich. Das waren 2,5 Prozent weniger als im Jahr davor.
Deshalb fordere ich die S-Bahngeschäftsführung auf, auch in diesem Jahr die Fahrgäste zu entschädigen. Da muss mehr bei den Fahrgästen ankommen als nur vereinzelte Schokoladenaktionen an den Bahnhöfen in der Vorweihnachtszeit. Das reicht mir nicht aus.
[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]
Als täglicher Nutzer der S-Bahn kann ich in Richtung S-Bahngeschäftsführung nur sagen, wenn auch inzwischen vieles wieder funktioniert: Die Berlinerinnen und Berliner sind immer noch von ihrer S-Bahn genervt.
[Beifall von Karin Seidel-Kalmutzki (SPD) und Daniel Buchholz (SPD)]
Ich will es an dieser Stelle nicht versäumen, mich trotz dieser Kritik bei allen Beschäftigten der S-Bahn zu bedanken.
[Zuruf von Stefan Gelbhaar (GRÜNE)]
Mein Dank gilt vor allem den Triebfahrzeugführern, den Aufsichten, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Verwaltung und in den Werkstätten sowie allen anderen, die dafür sorgen, dass unsere S-Bahn fährt, sauber und sicher ist.
[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]
Die S-Bahnkrise wird sich erst mit der Beschaffung neuer Züge und einem entsprechenden neuen Betreibervertrag vollständig beheben lassen. Das wissen wir alle. Nach der Abgeordnetenhauswahl haben SPD und CDU im Koalitionsvertrag festgelegt, was zu tun ist. Oberstes Ziel ist die Gewährleistung eines qualitativ hochwertigen, sicheren und störungsfreien S-Bahnbetriebs. Bei der Auswahl eines Betreibers für die Zeit ab Ende 2017 verfolgen SPD und CDU das Ziel einer sicheren, qualitativ hochwertigen und zuverlässigen Beförderung der Fahrgäste, die Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie niedrige Kosten für das Land.
In diesem Zusammenhang schließe ich mich auch einer berechtigten Forderung des Berliner S-Bahn-Tischs an. Das Aufsichtspersonal auf den Bahnhöfen muss verstärkt werden, und wir brauchen hier auch noch mehr Maßnahmen zur Sicherheit.
[Stefan Gelbhaar (GRÜNE): Nicht sagen – machen!]
Und die im Einsatz befindlichen Wagen und Sitzplatzkapazitäten, die Verfügbarkeit der Einrichtungen zur Barrierefreiheit sowie die Pünktlichkeit müssen künftig noch transparenter veröffentlicht werden.
Unabhängig von der Frage der Auswahl des Betreibers muss das Land im Rahmen des neuen S-Bahnvertrages größere Rechte eingeräumt bekommen. Die Berichts- und Offenlegungspflichten sind – unter anderem durch Einrichtung eines Beirats – erheblich auszuweiten. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch noch mal daran erinnern: Herr Senator Müller hat in Sachen Transparenz nach seinem Amtsantritt angezeigt, die S-Bahnverträge vollständig offenzulegen. Diese Transparenz erwarten die Bürgerinnen und Bürger. Mit der vollständigen Offenlegung wurde auch eine der Hauptforderungen des S-Bahn-Tischs erfüllt.
Nun aber zurück zum Vergabeverfahren! Das Vergabeverfahren für den S-Bahnbetrieb ab 2017 wurde in diesem Sommer vom Senat mit der ersten Veröffentlichung der Bekanntmachung gestartet.
Vizepräsident Andreas Gram:
Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lauer?
Sven Heinemann (SPD):
Nein, danke, er ist nicht vom Fach.
[Lachen bei den GRÜNEN und den PIRATEN – Zuruf von Dr. Wolfgang Albers (LINKE)]
Wir werden in Kürze wissen, welche Unternehmen die Berliner S-Bahn künftig betreiben wollen. Die Frist ist am Montag zu Ende gegangen. Bis dahin konnten sich Interessenten melden. Dann wird klar, ob es klug war, gerade auch unter Wettbewerbsaspekten, dass sich das größte deutsche Verkehrsunternehmen, unsere BVG, nicht an dieser Ausschreibung beteiligt hat und dieses noch nicht mal in Erwägung gezogen wurde.
[Harald Wolf (LINKE): Wer hat denn das entschieden?]
Das hat letztendlich die BVG entschieden. Wir haben im Koalitionsvertrag geschrieben, dass sich die BVG daran beteiligen kann.
[Uwe Doering (LINKE): Und wer hat dafür gesorgt?]
Und wenn ich höre, dass sich die S-Bahn in diesem Verfahren auch zusammen mit Bahnherstellern beworben hat, frage ich mich, warum man bei der BVG mit Blick auf diese Ausschreibung nicht über so ein Modell nachgedacht hat, wenn man das Risiko schon nicht allein tragen will.
[Uwe Doering (LINKE): Wer sitzt denn bei der BVG im Aufsichtsrat? – Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Der ist auch nicht vom Fach!]
Vizepräsident Andreas Gram:
Lassen Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin Hämmerling zu oder gar keine mehr?
Sven Heinemann (SPD):
Vielleicht am Ende!
Vizepräsident Andreas Gram:
Okay, am Ende gibt es dann eine Zwischenfrage, sozusagen eine Endfrage.
Sven Heinemann (SPD):
Ich hoffe, dass das Vergabeverfahren wie geplant 2014 abgeschlossen werden kann.
Aber nun noch einmal zurück zur Großen Anfrage! Warum wollen die Grünen eigentlich, dass das Land Berlin die Züge bei der Teilnetzausschreibung selbst kauft? Ich bezweifle, dass dieser Vorschlag für Berlin günstiger wäre, denn dafür müsste erst mal ein Know-how beim Land aufgebaut werden. Zudem erwarte ich von einem künftigen S-Bahnbetreiber in Berlin, dass er die Kompetenz für die Beschaffung, die Wartung und den Betrieb des Fuhrparks mitbringt. Die Qualitätsansprüche an die künftigen S-Bahnfahrzeuge hat der Senat mit der Veröffentlichung der Anforderung für die nächste Generation von S-Bahnzügen formuliert. Und das Parlament hat im aktuellen Doppelhaushalt auch entsprechende Verpflichtungsermächtigungen beschlossen, die für Leistungen für ein S-Bahnteilnetz einschließlich der Fahrzeugbeschaffung notwendig sind.
Im Übrigen wird im Wahlprogramm der Grünen von 2011 ausdrücklich die Vergabe der S-Bahn in Bremen gelobt. Auch da hat das Land Bremen keine Züge gekauft, sondern nur die Kriterien vorgegeben. Gucken Sie sich das vielleicht noch mal an!
[Zuruf von Heidi Kosche (GRÜNE)]
Zudem sind Sie ja, liebe Grüne, bei der vergangenen Betriebsversammlung der S-Bahner mit Ihrer Forderung nach einer Trennung von Ausschreibung und Beschaffung, wie Sie sie immer wieder als grünes Mantra vorantreiben – und deswegen stimmt es auch nicht, dass Linke und Grüne hier als Opposition das Gleiche zum Thema S-Bahn meinen, wenn sie vom Thema Beschaffung der Fahrzeuge reden –, auf wenig Gegenliebe gestoßen. Auch der Berliner S-Bahn-Tisch fordert außerdem keine Beschaffung der Fahrzeuge durch das Land.
Wenn Sie also, liebe Grüne, unbedingt Züge kaufen wollen – und vielleicht schließen sich diesem frommen Wunsch noch weitere Teile der Opposition an –, dann empfehle ich Ihnen für die Vorweihnachtszeit die einfache Modelleisenbahnstartpackung von Märklin. Sie enthält neben einem Zug auch Schienen zum Im-Kreis-Fahren, aber keine Weichen. Da können Sie sich in Ruhe ausprobieren.
[Zuruf von Oliver Höfinghoff (PIRATEN)]
Das Weichenstellen in Sachen S-Bahn für Berlin überlassen Sie besser der Koalition. SPD und CDU übernehmen hier Verantwortung. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
[Beifall bei der SPD und der CDU – Zuruf von Wolfgang Brauer (LINKE)]
Vizepräsident Andreas Gram:
Entschuldigung, lieber Kollege! Sie hatten der Kollegin Hämmerling noch versprochen, eine „Zwischenendfrage“ stellen zu können.
Sven Heinemann (SPD):
Ja, gerne!
Vizepräsident Andreas Gram:
Bitte! – Noch mal drücken, Kollegin Hämmerling!
Claudia Hämmerling (GRÜNE):
Ja, das ist sehr freundlich! – Sie sagten ja, wenn jemand vom Fach wäre, oder sagten, Kollege Lauer sei nicht vom Fach. Ich habe das mal eine Weile begleitet, deswegen danke ich Ihnen, dass Sie mir die Frage gestatten.
Vizepräsident Andreas Gram:
Aber bitte jetzt auch die Frage stellen!
Claudia Hämmerling (GRÜNE):
Ja, ich stelle die Frage sofort. – Vor dem Hintergrund, dass 2007 die Möglichkeit bestand, eine Teilausschreibung durchzuführen, sodass wir jetzt, also 2012, schon einen neuen Betreiber, vor allem einen neuen S-Bahnvertrag für eine Teilstrecke hätten – –
Vizepräsident Andreas Gram:
Kollegin, stellen Sie bitte eine Frage!
Claudia Hämmerling (GRÜNE):
Vor dem Hintergrund! Es waren jetzt zwei Kommas dazwischen, Herr Präsident! „Vor dem Hintergrund“ war der Anfang meines Fragesatzes. – Vor dem Hintergrund also, dass die Möglichkeit der Ausschreibung bestand, wir heute einen neuen Vertrag und einen ordentlichen Betreiber hätten, wen auch immer, frage ich Sie: Bewerten Sie es heute als Fehler, die Ausschreibung damals nicht durchgeführt zu haben?
Vizepräsident Andreas Gram:
Bitte schön, Herr Kollege, Sie können antworten!
Sven Heinemann (SPD):
Ich bin ja erst seit einem Jahr im Haus und kann jetzt im Einzelnen nicht sagen, was 2007 die Gründe waren.
[Zurufe von der LINKEN – Zuruf von Christopher Lauer (PIRATEN)]
Das wissen Sie vielleicht aus der Debatte besser. Aber natürlich würde ich mir schon wünschen – wir wissen alle, dass der Zeitplan jetzt sehr eng ist –, dass vielleicht der Puffer etwas größer wäre. Ich gebe das aber noch nicht vollkommen verloren.
[Beifall bei der SPD – Zuruf von der LINKEN]
Die vollständige Debatte mit weiteren Kurzinterventionen von mir kann im Plenarprotokoll ab Seite 92 des Dokuments nachgelesen werden.