Ein Besuch bei Deutschlands erster Bahnhofsmission

In diesem Jahr feiert die Bahnhofsmission am Ostbahnhof in Friedrichshain ihr 120-jähriges Bestehen. Sie ist die erste und älteste Bahnhofsmission Deutschlands. Auch ich kam zum Gratulieren und wurde von der Leiterin der Bahnhofsmission Ostbahnhof, Ursula Czaika, und von Anne Dietrich-Tillmann, Geschäftsführerin des Trägervereins IN VIA Katholischer Verband für Mädchen- und Frauensozialarbeit für das Erzbistum Berlin, herzlich empfangen.

Mit vier hauptamtlichen und 20 ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bietet das Team von Ursula Czaika am Ostbahnhof an sieben Tagen in der Woche von 8 bis 17 Uhr ein niedrigschwelliges Hilfeangebot. Bis zu 150 Besucher am Tag werden gezählt. Bei der Bahnhofsmission im S-Bahn-Bogen 8 in der Erich-Steinfurth-Straße wird den Menschen ein offenes Ohr, etwas zu Essen, eine Tasse Tee oder einfach nur ein Ort zum Aufwärmen und Zuhören geboten. Die Bahnhofsmission Ostbahnhof ist eine von drei stationären Angeboten in Berlin: Es gibt auch Missionen am Hauptbahnhof und am Bahnhof Zoologischer Garten. Deutschlandweit gibt es mittlerweile über 100 Bahnhofsmissionen.
Gegründet wurde die Bahnhofsmission am Ostbahnhof im Jahr 1894 von jüdischen, evangelischen und katholischen Frauen. Sie ist damit wohl auch das älteste ökumenische soziale Projekt in Deutschland. Der Ostbahnhof hieß damals noch Schlesischer Bahnhof. Die Frauen wollten damals mit ihrem Engagement vor allem junge Mädchen, die aus Schlesien nach Berlin kamen, vor Menschenhandel und sexueller und sozialer Ausbeutung schützen. In der Nähe des Bahnhofs gab es damals eigene Unterkünfte. Erst später zog die Mission direkt in den Bahnhof. Gleich bei der Ankunft der Züge wurden junge Frauen angesprochen und auf Gefahren hingewiesen und ihnen Unterstützung angeboten. Nach dem Ersten Weltkrieg konzentrierte sich die Bahnhofsmission auf Hilfeleistungen für zurückkehrende Soldaten und Frauen, die in der Rüstungsindustrie arbeiteten. Unter den Nationalsozialisten wurde die Bahnhofsmission verboten, viele Helferinnen und Unterstützer wurden persönlich verfolgt. Nach Spionagevorwürfen überlebte die Station am Berliner Ostbahnhof von 1956 bis 1989 als einzige Bahnhofsmission in der DDR: Sie bestand fort, weil sie sich auf einem Privatgrundstück neben dem Bahnhof befand.

Die Arbeit der Bahnhofsmission ist vergleichbar mit einem Seismografen: Veränderungen oder Erschütterungen in der Gesellschaft lassen sich hier sehr schnell ablesen. So ist heute bei den Besuchern eine starke Zunahme von psychisch auffälligen, suchtmittelabhängigen und wohnungslosen Menschen festzustellen. Eine Kernaufgabe ist, niedrigschwellige Hilfe für Menschen in Not am Bahnhof ohne Ansehen der Nationalität, Religionszugehörigkeit, Hautfarbe und Geschlecht anzubieten. Die Bahnhofsmission hilft aber auch allen Reisenden, die Orientierung suchen, beim Ein-, Aus- und Umsteigen. So wird jede Zugreise für Eltern mit Kindern und Menschen mit eingeschränkter Mobilität leichter. Reisende können sich ausruhen und bei einer Tasse Tee auf den Anschlusszug warten.
Finanziert wird die Bahnhofsmission aus Landesmitteln, Mitteln des Trägers IN VIA sowie durch Spenden. Die Deutsche Bahn stellt kostenlos die Räume zur Verfügung. In der Mission am Ostbahnhof werden dringend weitere freiwillige HelferInnen, die sich engagieren wollen, gesucht. Gefragt sind aktuell vor allem UnterstützerInnen mit osteuropäischen Sprachkenntnissen:

Kontakt:
Frau Ursula Czaika, Leiterin Bahnhofsmission Ostbahnhof
Telefon: (030) 297 201 75
eMail: berlin-ostbahnhof@bahnhofsmission.de
http://www.bahnhofsmission.de